Geschichte: Villa San Marco

Geschichte der Villa San Marco

Die Villa San Marco – ursprünglich Schwalbenvilla – hat eine bewegte Geschichte, die das wechselvolle Schicksal ihres Umfelds widerspiegelt. Das Gebäude wechselte mehrmals den Besitzer, zu oft, als dass sich aus der Geschichte seiner Bewohner ein zusammenhängender Erzählfaden spinnen ließe.  Schriftliche Zeugnisse gibt es nicht – sie sind im Zuge der zahlreichen Besitzerwechsel verloren gegangen. Auch Leben und Werk der Bewohner haben kaum Spuren hinterlassen. Jeder Abschnitt steht getrennt für sich, da die einzelnen Besitzer der Villa in keinerlei Beziehung zueinander standen.

Villa San Marco hieß ursprünglich Schwalbenvilla. Heute ist sie der Sitz der Akademie Meran
Alte Zeichnung der Schwalbenvilla

Aus den wenigen Unterlagen, die erhalten geblieben sind, wissen wir, dass die Villa auf Betreiben einer Frau gebaut wurde, nämlich der „hochwohlgeborenen“ Rosa Lohner. Sie ist die Bauherrin, die um das Jahr 1894 den Wiener Architekten Alexander Graf beauftragt, ein Wohnhaus auf dem großen dreiecksförmigen Grundstück im Kreuzungsbereich der Innerhoferstraße, der Weingartenstraße und der Grabmayrstraße in Untermais zu entwerfen. Die heutige Grabmayrstraße heißt zu dieser Zeit Hubergasse oder Kirchsteig, die Innerhoferstraße, an der schon damals die Zufahrt zur Villa liegt, ist nach Valerie, der letztgeborenen Lieblingstochter der österreichischen Kaiserin Elisabeth, benannt.  Im Kataster ist die Immobilie mit der Adresse Valériestraße Nummer 3 eingetragen. Im Norden grenzt das Grundstück an den Garten von Schloss Maur an, der später der prunkvollen Anlage des Hotel Palace einverleibt wird. Es ist das goldene Zeitalter des Kurorts Meran. In Obermais und in Untermais – damals eigenständige Gemeinden – wird emsig gebaut. Es entsteht eine Vielzahl von Urlaubsdomizilen für die adeligen und wohlhabenden Familien der mitteleuropäischen Oberschicht, die wegen des milden, trockenen Klimas im Meraner Talkessel und wegen des Kurangebots zunächst als Touristen in die Stadt kommen und dann zu ständigen Besuchern mit eigenem Wohnsitz werden.

Rosa Lohner ist die zweite Ehefrau des Wiener Industriellen Jacob Lohner. Er hat die Lohner Werke gegründet, ein renommiertes Unternehmen, das Fahrzeuge und Motoren herstellt und die Geschichte der damals noch jungen österreichischen Automobilindustrie prägen wird. In den Lohner Werken sammelt Ferdinand Porsche zu Beginn seiner Karriere erste nennenswerte Arbeitserfahrungen.

Warum Rosa Lohner sich für Meran entscheidet, lässt sich nur vermuten. Vielleicht ist sie wie viele andere Urlauber als Kurgast in den blühenden Luftkurort gekommen. Als 1892 ihr Ehemann Jacob stirbt, beschließt sie wohl, dem hektischen Leben in Wien den Rücken zu kehren. 1894 kommt es jedenfalls zu dem Auftrag an den Architekten Alexander Graf: Er soll eine Villa im Stil eines alpenländischen Jägerhauses entwerfen.

Der Bauplan sieht ein großzügiges Wohnzimmer für Rosa Lohner im Hochparterre vor, dazu ein zweites Zimmer, das in den Zeichnungen des Architekten mit dem Vermerk “Maria” versehen ist. Damit ist Maria Dvorzak gemeint, die als Eigentümerin eines Drittels der Villa aufscheint. Der derzeitige Stand der Recherchen gibt uns keinen Aufschluss darüber, wer Maria Dvorzak war und in welcher Beziehung sie zur Bauherrin stand. Noch schwerer ist es, den Alltag von Rosa Lohner in der Schwalbenvilla nachzuzeichnen. Den Namen Schwalbenvilla wählt sie vielleicht, weil er in ihr die Vorstellung von einem unbeschwerten Leben in einem lieblichen, ungetrübten Klima wachruft. Was sich hingegen sehr wohl nachvollziehen lässt, ist Rosa Lohners aktive Teilnahme am öffentlichen Leben in der Stadt.  Aus Zeitungsberichten wissen wir, dass sie mit dem Meraner Kurkomitee in Verbindung steht, das für die Gestaltung des Kurbetriebs zuständig ist, das Unterhaltungsprogramm für Kurgäste festlegt und das Kurhaus führt.   

Eingangstor zur Villa San Marco

Rosa Lohner stirbt am 19. Juli 1910 in Igls bei Innsbruck. Der Stammbaum der Familie weist keine direkten Erben aus. Es vergeht nicht einmal ein Jahr, und die Villa wird vom Ehepaar Paul und Clara (oder Klara) Förstemann aus Alt Geltow bei Berlin erworben. Die Zeitungen jener Zeit berichten von diesem Besitzerwechsel und von Clara Förstemanns wohltätigem Wirken für Armenhäuser und Pfarreien.

Am 6. November 1911, nur acht Monate nach dem Erwerb der Immobilie, stirbt Paul Förstemann in der Schwalbenvilla, in die er soeben erst übersiedelt ist. Die Bozner Nachrichten berichten: „Aus Meran, 6. ds., wird uns geschrieben: Privatier Paul Förstemann aus Alt-Geltow, welcher seit länger schon mit Gemahlin in unserem Kurorte geweilt, hatte sich im vorigen Frühjahre hier angekauft, ließ Sommers über die herzige Schwalbenvilla in Untermais seinem Geschmack und seiner Bequemlichkeit entsprechend adaptieren. Und nun, da er seit drei Wochen das Eigenheim bewohnt, hat ein Herzschlag seinem Leben ein plötzliches Ende bereitet. Die Leiche wurde nach Deutschland überführt.“

Die Villa geht an die Ehefrau Clara über und bleibt bis 1923 in ihrem Eigentum, wenngleich Presseberichte die Anwesenheit der Witwe Förstemann in Meran nur bis 1917 belegen. Womöglich hat es Clara Förstemann nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der in den Friedensverträgen festgeschriebenen Annexion Südtirols an Italien vorgezogen, in ihre Heimatstadt zurückzukehren. Dort stirbt sie am 14. Dezember 1933.

Nach der faschistischen Machtergreifung in Italien erleidet die Villa dasselbe Schicksal wie zahlreiche weitere Immobilien in der neuen italienischen Provinz Alto Adige: sie wird enteignet. Am 4. November 1923 geht sie auf Anordnung der Präfektur Trient in das Eigentum des Staates über. Es vergehen vier Jahre, bevor die Liegenschaft einem neuen Zweck zugeführt wird: Am 25. Oktober 1927 wird das Fürsorgewerk für Kriegsheimkehrer Opera Nazionale Combattenti als neuer Eigentümer im Grundbuch vermerkt. Höchstwahrscheinlich dient die Villa in dieser Zeit mehreren Soldaten und ihren Familien als Unterkunft.

In der Folge reichen sich verschiedene staatliche Körperschaften die Immobilie weiter, je nach dem, welchem Zweck sie von Mal zu Mal dienen soll. 1930 wechselt die Liegenschaft erneut den Besitzer und geht an die Domänenverwaltung über. Vermutlich ist dies auch das Jahr, in dem sie den Namen Villa San Marco erhält. Die Villa dient von nun an als Sitz des Staatsbauamtes, Abteilung Wasserschutzbauten, und als Dienstwohnung für Ingenieur Aldo Andreucci (1894-1982), der bereits im Friaul und im Raum Belluno tätig war und nun für die Wasserschutzbauten in der Meraner Gegend zuständig ist. Andreocci hatte zuvor mit Ingenieur Eugenio Miozzi eng zusammengearbeitet, dem Erbauer der Bozner Drususbrücke und der berühmten Freiheitsbrücke in Venedig. Gemeinsam entwickeln die beiden Ingenieure ein Flussufer-Befestigungssystem, das auf ihren Namen getauft wird, und verfassen das 1931 bei Vallardi veröffentlichte Werk „Tipi speciali di difese fluviali adottate dal Ministero delle Acque italiane in Val Passiria (Alto Adige)“ [Spezielle im Passeiertal (Alto Adige)  vom italienischen Ministerium für Wasserwirtschaft erprobte Flussverbauungstypen“].

Die Villa San Marco wird nun wieder zum herrschaftlichen Wohnsitz: Die Familie von Ingenieur Andreocci pflegt zweifelsohne einen vornehmen Lebensstil. Zu einer der ersten Nennungen in den Quellen aus jener Zeit kommt es, als die Familie ein Dienstmädchen sucht. 1931 gibt das Ehepaar Andreocci die Geburt seiner Tochter Ines bekannt. Bis 1934 ist Aldo Andreocci intensiv mit Wasserschutzbauten im Raum Meran beschäftigt. Wann genau und warum er seine Dienststelle in Meran verlässt, ist nicht bekannt.

Auch nach Andreoccis Abgang dient die Villa San Marco weiterhin der Abteilung Wasserschutzbauten des Staatsbauamtes. 1997 wird sie dem Bereich Geschichte, Kunstgeschichte und Archäologie der Domänenverwaltung zugeteilt. Seit 1981 steht das Gebäude unter Denkmalschutz. Im Laufe der Jahrzehnte bewohnen mehrere Staatsbeamte mit ihren Familien die Villa, bis 1993 die Akademie für deutsch-italienische Studien den zweiten Stock anmietet und dort ihren Sitz einrichtet.

Quelle: Giorgia Lazzaretto; Anna Pixner Pertoll, Meraner Villenbau um die Jahrhundertwende. Ein Beitrag zur Wohnkultur im 19. Jahrhundert

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