28.09.2019 Literarischer Spaziergang: Jesenská und Kafka in Meran

„So wie das Meer einen winzigen Kieselstein auf seinem Grunde lieb hat…“
Ein literarischer Spaziergang zu Milena Jesenská und Franz Kafka in Meran

Auf den Spuren einer der berühmtesten Liebesgeschichten in der Weltliteratur
unternehmen wir einen Spaziergang durch Meran, der, bereichert mit Lesungen und
Erzählungen, die Entwicklung der Liebe dieser beiden außergewöhnlichen Menschen
am Ort ihrer Entstehung nachzuempfinden sucht.


Franz Kafka und die verheiratete tschechische Feuilletonistin und Übersetzerin Milena
Jesenská lernten sich im Herbst 1919 in einem Prager Kaffeehaus kennen. Milena
Jesenská erbot sich, Kafkas Erzählung „Der Heizer“ ins Tschechische zu übersetzen. Als
der seit bereits einigen Jahren an Lungentuberkulose erkrankte Franz Kafka dann im
April 1920 zu einem längeren Erholungsaufenthalt in die Pension Ottoburg nach Meran
reiste, entwickelte sich schnell ein leidenschaftlicher Briefwechsel zwischen den beiden,
den wir heute als die „Briefe an Milena“ kennen und in dem sich uns die Welt Franz
Kafkas auf eine neue, bisher vielleicht unerfahrene Weise eröffnet.


Franz Kafka an Milena Jesenská, Meran, 4. Juni 1920:
„Heute gegen Abend habe ich, eigentlich zum erstenmal, allein einen größeren Spaziergang
gemacht, sonst bin ich mit anderen Leuten gegangen oder, meistens, zuhause gelegen. Was
für ein Land ist das! Du lieber Himmel, wenn Sie hier wären, und du armer denkunfähiger
Verstand! Und dabei wäre es eine Lüge, wenn ich sagte, daß ich Sie vermisse, es ist die
vollkommenste, schmerzhafteste Zauberei, Sie sind hier, genau wie ich und stärker; wo ich
bin, sind Sie wie ich und stärker. Es ist kein Scherz, manchmal denke ich mir aus, daß Sie,
die Sie ja hier sind, mich hier vermissen und fragen: „Wo ist er denn“ Schrieb er nicht, daß
er in Meran ist?“
(Franz Kafka: Briefe an Milena. Erweiterte Neuausgabe, Fischer TB Verlag 1995, S.45)