24. – 25.11.2014 Seminar: Zwischen den Fronten

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 ist nicht nur der Auslöser für menschliche Verluste in dramatischen Dimensionen, sondern bildet auch den Auftakt zu verheerenden Materialschlachten zwischen den Mächten der Entente und Österreich-Deutschland. Er markiert auch das Ende von zahlreichen grenzüberschreitenden, über Jahre und Jahrzehnte bestehenden, Freundschaften zwischen Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen der bis dahin im Wesentlichen friedlich nebeneinander existierenden Nationen. Auf der Suche nach Allianzen im gemeinsamen Kampf gegen konservative Kritiker und die sogenannten (bornierten) Philister waren sich viele Autoren des Symbolismus und der frühen Avantgarde nahe gekommen und hatten in international ausgerichteten Künstlerkreisen produktiv zusammenarbeitet. Nun wird aber, am Vorabend des I. Weltkriegs und dem Heraufdämmern zukünftiger Konflikte und Feindschaften, die Treue zum eigenen Vaterland wichtiger als die persönlichen Beziehungen und die gemeinsamen Ideale jenseits der Grenzen. Französische und deutsche Schriftsteller und Künstler, die sich, bis dahin, in Paris produktiv ausgetauscht hatten, gehen gegeneinander feindlich in Stellung. Der italienische Maler Alberto Stringa verlässt Wien, wo er zwischen 1907 und 1914 dank der Unterstützung von Stefan Zweig eine sehr schöpferische Phase seiner Arbeit erlebt hatte, um als Artillerieoffizier im italienischen Heer zu kämpfen. Es gibt aber auch einen Künstler wie Kandinsky, der sich von Deutschland und seinen deutschen Freunden nicht trennen will. Im Gegensatz zu seinen patriotisch gesinnten Künstlerkollegen, die gegen die nun verfeindeten Nationen allerlei negative Feindbilder mobilisieren, fragt er seinen Förderer Herwath Walden in einem dramatischen Brief vom 2. VIII 1914: „Von den 16 Jahren, die ich in Deutschland lebe, habe ich nicht wenige vollkommen dem deutschen Kunstleben abgegeben. Wie soll ich mich jetzt plötzlich hier fremd fühlen?“ Ob man dem befreundeten Land und den befreundeten Menschen freiwillig den Rücken kehrt oder ob man „exilisiert“ wird, wie im Falle von Kandinsky, auf jeden Fall wird die Krise der persönlichen Freundschaft zum Spiegel für Probleme und Dilemmata, die dann auf nationaler Ebene und in kriegerischer Form ausgetragen werden. Daraus lässt sich eine Reihe von Fragen ableiten: Ist die abrupte Trennung von den Freunden schon ein Symptom für den „Verrat der Kleriker“, von dem Julien Benda sprechen wird? Ist es möglich – wie etliche glauben, Nationalismus einerseits und Toleranz bzw. Kosmopolitismus zusammen zu halten? „Oh Freunde, nicht diese Töne!“ wird zur Parole für den Versuch, trotz des Krieges einen gewissen Grad von Menschlichkeit und Toleranz zu bewahren. Was bedeutet für die Freundschaften die Forderung von Romain Rolland, „au dessus de la mêlée“ zu bleiben? Wie schaut der Krieg der Künstler mit den Worten im Gegensatz zum Krieg mit den Waffen aus, der auf den ersten folgt? Ausgehend von diesen und anderen ähnlichen Fragestellungen geht es in der Tagung darum, nicht nur einen neuralgischen Wendepunkt in vielen künstlerischen und intellektuellen Biographien und Beziehungen zwischen meinungsbildenden Intellektuellen der Zeit zu beleuchten, sondern auch einen Beitrag zu einer entscheidenden Phase in der Kulturgeschichte der Freundschaft und der Intellektuellengeschichte zu leisten.